Transparenz

Audiophile nutzen gerne Begrifflichkeiten aus der „visuellen“ Erfahrungswelt, um den Klang einer Anlage oder Komponente zu beschreiben. Das macht auch Sinn – lassen sich so doch Klangeindrücke im buchstäblichen Sinne „anschaulich“ darstellen. Der Sehsinn ist nun mal besonders ausgeprägt und Analogien helfen beim Verständnis und der Erfahrung von gutem Klang. Diese Beziehung ist durchaus wechselseitig. Wir sprechen über Klangfarben, aber auch vom Farbton.

Klangfarben gehören zum Themenkreis der „(Klang)tonalität“. Der Farbton sagt etwas über die Intensität und der Graduierung einer „echten“ Farbe aus. Ein weiterer Begriff aus der visuellen Welt ist die „Transparenz“. Auch hier lässt sich Transparenz sehr anschaulich über unsere „visuelle“ Erfahrungswelt beschreiben. Stellen wir uns für einen Moment ein Fenster mit Ausblick in einen Garten mit Bäumen und roten Früchten, bunten Rosen, Sträuchern und einer saftigen grünen Wiese vor. Den vollen Genuss aller Details bekommt man nur, wenn das Fenster gut geputzt und kein Staub, Schmutz oder Wasserspritzer den Ausblick verschleiert. Erst dann sehen wird die Konturen der Äste, Blätter, Halme, und können auch den Raum dazwischen wahrnehmen. Nichts verschwimmt – jedes Detail ist erkennbar, hat Platz und konturierten Raum. Farben erscheinen kraftvoll und natürlich. Feinste Graduierungen lassen die Textur des betrachteten Objekts sichtbar werden.

Wenn Audiophile begeistert von einer neuen Komponente schwärmen, sprechen sie häufig davon, dass ein Schleier „weggezogen“ worden ist – das Klangbild hat offensichtlich an Transparenz gewonnen. Man hört tiefer in die Aufnahme, Details werden sichtbarer, konturierter, das Klangbild luftiger, was nichts anderes bedeutet, als dass mehr Luft – also (zeitlicher) Raum (genau genommen Ruhe) – zwischen den klanglichen Details erkennbar wird. Vergleichbar mit dem Blick auf eine Baumkrone, die man nicht als einen grünen, geschlossenen „Block“, sondern als filigranes Gebilde feiner Verästlungen wahrnimmt, was es somit ermöglicht, tiefer in die Baumkrone zu schauen.

Nun könnte man meine, dass möglichst viel „Transparenz“ eine gute Sache ist. Das stimmt aber nur zum Teil. Und wie immer bestimmt die Dosis und auch der persönliche Geschmack das Gift. Eine wenig transparente Anlage klingt muffig, wenig lebendig, mithin unmusikalisch und flach. Ein „Zuviel“ lässt eine Anlage analytisch, kalt, tendenziell unharmonisch klingen. Das Klangbild verliert an Kohärenz – man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Eine solche Anlage ist kein Genuss, sondern ermüdend und anstrengend, da sich jedes Detail in den Vordergrund schiebt und beachtet werden will. Manche Hersteller – insbesondere von Lautsprechern – stimmen bewusst ihre Komponenten frischer, sprich höhenlastiger ab, um Transparenz vorzutäuschen, wo sonst keine ist. Die Beziehung zu einem solchen Lautsprecher ist dann meist von kurzer Dauer.

 Transparenz wird häufig auch durch einen Mangel an tonaler Sättigung erkauft. Gerade im Verstärkerbau wird der Fokus auf die schnelle Verarbeitung mikrodynamischer Transienten gelegt – ein wesentlicher technischer Faktor der akustischen Transparenz. Fehlt aber sustain, also das ausreichende „Halten“ des Tons, wirken solche Verstärker verhuscht und blutarm und die Klangfarben ausgebleicht. Nur sehr gute Komponenten vermögen beide Welten – Transparenz und Sättigung – auf hohen Niveau erfolgreich zu verbinden. Ansonsten bleibt der gute Kompromiss das Ziel einer harmonischen und bemerkenswert aufspielenden Anlage. Wie grenzt sich Transparenz vom Auflösungsvermögen einer Anlage ab? 

Ein gutes Auflösungsvermögen ist eine notwendige Bedingung, aber reicht das aus um ein transparentes Klangbild zu erzeugen? Bleiben wir beim Bild des Fensters in den Garten – die Fensterscheibe kann perfekt durchlässig sein. Dämmrige Lichtverhältnisse werden jedoch Details verschlucken, die Stunden vorher noch sichtbar herausgeschält wurden. Der Kontrast wird zum limitierenden Element. In der auditiven Welt entspricht der Kontrast der Größe des feindynamischen Bereichs – also des Verhältnisses zwischen der leisesten zur lautesten Signatur eines akustischen Details. Ist dieses groß wird die Anlage vermutlich als vergleichsweise transparenter eingestuft werden (das hängt natürlich von der Qualität der Aufnahme ab). Somit bestimmen Auflösungsvermögen und Feindynamik wesentlich den Eindruck eines transparenten Klangbilds.