Tonalität

Den „richtigen Ton“ zu finden ist nicht nur in der zwischenmenschlichen Kommunikation wichtig, sondern auch mitentscheidend dafür, wie „real“ wir wiedergegebene Musik empfinden, und insbesondere wie wir emotional darauf reagieren. Dem Ziel einer möglichst authentischen Wiedergabe verpflichtet, ist der „richtige Klang“ einer Anlage für einen Audiophilen unverhandelbar. Aber was heißt nun „richtiger Klang“? Einfach ausgedrückt heißt es letztlich, dass eine Gitarre wie eine Gitarre, eine Geige wie eine Geige, ein Instrument oder Stimme wie das natürliche Pendant klingen sollte - also genau so wie wir es „live“ erleben würden. 

Somit ist das Ziel zwar beschrieben – der Weg dorthin aber steinig, da „Klang“ eine recht komplexe Angelegenheit ist. Und selbst Stereosysteme, die im sechsstelligen Bereich angesiedelt sind, klingen trotz gleicher Bits&Bytes bzw. gleicher Rille als Quellmaterial unterschiedlich.

Physikalisch betrachtet ist ein Ton eine Abfolge regelmäßiger Luftverdichtungen mit fester Periodizität – der Sinuston. Diesbezüglich macht der Ton keine Musik – ein Sinuston ist lästig und vermag einen in den Wahnsinn zu treiben. Instrumente hingegen tönen nicht, sondern sie klingen und berühren uns mit ihrem Klang dank der zu dem Grundton addierten Obertöne mit Frequenzen, die häufig ein ganzahliges (harmonisches) Verhältnis zum Grundton aufweisen.

Somit hat jedes Instrument und jede Stimme ein charakteristisches Frequenzspektrum oder eine eigene Klangfarbe, mithin eine akustische Signatur, die unverwechselbar ist. Der menschliche Hörsinn ist sehr empfindlich und registriert auch kleinste Veränderungen im Obertonspektrum. Zwei Geigen werden – wenn sie nicht absolut identisch sind - unterschiedlich klingen. Das nehmen wir wahr, aber trotzdem werden wir beide Instrumente als Geige identifizieren können. Sie klingen unterschiedlich, aber doch „richtig“. So können auch sehr gute Musikanlagen unterschiedlich, aber dennoch richtig klingen. Das ist ein wichtiger Aspekt und erlaubt einen Freiheitsgrad der für Audiophile sehr wichtig ist – die Anpassung an den persönlichen Geschmack. So wie professionelle Musiker jahrelang nach „ihrem“ Instrument suchen, sind HiFi’sten – zumindest phasenweise – mit dem Tuning ihrer Anlage beschäftigt, um die Klangcharakteristik nach ihren Vorstellungen zu verändern. 

Trotzdem – Klangwiedergabe ist nicht beliebig und hat ihre Grenzen, die im Wesentlichen durch die Qualität der Anlage und des Raums bedingt sind. Impulstreue und Auflösungsvermögen sind wichtige Kriterien, um die zeitliche Struktur eines instrumentalen Tons – also Grundton und Obertöne – korrekt wiederzugeben. Bekanntermaßen ist das Piano ein besonders schwieriges Instrument, wenn es darum geht den Klang überzeugend zu reproduzieren. Klavieraufnahmen eignen sich daher besonders für einen Lackmustest der Anlage - eine gute Einspielung vorausgesetzt. Bei einer sonst schön sonor und entspannt spielende Anlage klingt ein Piano vielleicht muffig, diffus und wenig filigran. Eine hochtransparente, blitzsaubere Anlage lässt das Piano vielleicht gläsern wirken – ohne Substanz und Boden. Woran liegt das? 

Wenn man sich die zeitliche Struktur eines Klaviertons vor Augen führt – und das Kommende gilt für alle Instrumente, den Gesang eingeschlossen – kann man die Entwicklung des Tons in drei Phasen einteilen. Zunächst trifft der filzbewerte Hammer des Klaviers auf die für den Ton maßgeblichen Saiten und regt damit die Schwingung an – man spricht vom Onset - dem Einschwingvorgang. Anders als bei Instrumenten die gezupft, gestrichen oder angeblasen werden, ist der Onset hier ein „Hammerschlag“ – also ein sehr impulsives Ereignis, das hohe Impulstreue erfordert. Hat eine Anlage Probleme, dem Impuls zu folgen, klingt der Einschwingvorgang verwaschen und somit unnatürlich. 

Die zweite Phase wird durch die „quasistationäre“ Schwingung der Saiten beschrieben – „quasistationär“, weil durch die Obertöne Schwebungen induziert werden. Die Intensitäten der Grund- und Obertonfrequenzen verhalten sich nicht statisch, sondern variieren dynamisch zueinander. Diese Phase wird Sustain genannt und sie trägt ganz wesentlich zu dem Klangfarbencharakter bei und macht ein Instrument erst erkennbar. Nun kann man sich fragen, warum die eine Anlage diese Phase anders wiedergibt als eine zweite, wo doch der Sustain auf der CD oder Platte „niedergeschrieben“ ist. 

Nun, eine genaue Antwort habe ich dazu nicht. Jedoch verhält sich eine Anlage bezüglich ihrer Eigenschaften nicht homogen über den gesamten Frequenzgang. Je nach Qualität der Anlage sind die zwangsläufigen „Inhomogenitäten“ in die eine oder andere Richtung ausgeprägt und verursachen somit Verfärbungen des Klangbilds. Manchmal sind solche Verfärbungen durchaus gewollt, beispielsweise um dem Klangbild „Wärme“ zu verleihen. Röhrenverstärker sind hier ein Paradebeispiel, da sie mit ihrem bauartbedingten Klirr harmonische Obertöne verstärken. 
Im Hörraum positionierte Klangschalen erfüllen den gleichen Zweck- allerdings auf passive Art. Sie reichern bei bestimmten Resonanzfrequenzen die Luft mit Obertönen an. Das Ergebnis ist dann – im besten Fall - ein vollerer Ton mit mehr Klangfarbenpracht. 

Nun hat jeder Entwickler eine eigene Vorstellung vom „richtigen Klang“ – zu mindestens davon, wie es „gut“ klingt. So auch der Musikfreund! Und tatsächlich ist der Klang nicht nur eine Frage des persönlichen Geschmacks, sondern unterliegt auch modischen Strömungen, wie die Diskussion um den Klangcharakter der Elbphilharmonie zeigt. Während das Klangbild älterer Konzertsäle eher weich und euphonisch abgestimmt ist, zeigt sich der Konzertsaal der Elbphilharmonie nicht nur architektonisch modern, sondern auch akustisch recht analytisch, was ihm die Kritik eines zu harten Klangbilds einbringt. Eine solche Diskussion ist dem audiophil Geneigten nicht unbekannt. Ein Liebhaber von Lautsprechern der Marke Sonus Faber wird sich vermutlich mit einem Magico Lautsprecher nie anfreunden können – und umgekehrt! Das ist das Elexier des Audiophilen – unter der großen Auswahl verschiedenster Komponente die Kombination zu finden, die einem klanglich den „siebten Himmel“ beschert – und das ist dann in der Tat eine sehr persönliche Sache. 

Zurück zur zeitlichen Struktur und der dritten Phase. Die angeregten Klaviersaiten schwingen aus – man spricht hier vom Decay. Manche Schwingungen – üblicherweise die höherfrequenten - werden stärker bedämpft als andere und so hat auch der Decay ein für jedes Instrument charakteristischen Klang. Der Ausschwingvorgang hat allerdings noch eine weitere wichtige Bedeutung in der Wahrnehmung des musikalischen Geschehens, da er uns erlaubt, die räumlichen Begebenheiten der Aufnahme zu „erhören“. Schwingt der Ton aus und wird somit leiser, können wir den durch den Raum (hier der Aufnahmeraum bzw. die Abmischung des Tonmeisters) reflektierten Schall besser wahrnehmen, der vorher durch die volle Anregungsenergie überdeckt war. Der sogenannte „Nachhall“ ist – nomen est omen - zeitverzögert. Zeitverzögerung und Intensität geben uns Aufschluss über die Dimension des Raums, in dem das musikalische Ereignis stattgefunden hat. 

Ein weiterer, guter Lackmustest für die Tonalität einer Anlage ist der Applaus bei einem Live Konzert – vorzugsweise Klassik – bei Rockkonzerten wird eher frenetisch gejubelt. [Wie grundsätzlich die Tonalität besser mit akustischen, unverstärkten Instrumenten beurteilt werden kann]. Tatsächlich habe ich bis heute noch keine Anlage gehört, die Applaus authentisch wiedergeben kann. Das mag auch an den Aufnahmen liegen – eventuell verträgt sich die Aufnahmekonfiguration für Musik generell nicht mit der einer realistischen Aufnahme von Applaus. 

Das Klangspektrum des Applaus reicht jedenfalls von "topfig" bis hin zu einem veritablen Hagelsturm. Da wir aber Musik hören möchten und nicht dem Applaus lauschen, ist es letztlich egal. Wichtig ist, dass die Musik uns emotional berührt und uns ihre Seele offenbart wird. Klang und Klangfarbenpracht sind hierfür entscheidende Faktoren.